Mike 6 is here – Ein erster Blick auf die ASW 20 von Airworld in 1:3

11.12.2022

Es gibt viele schöne Segelflieger. Und viele  gefallen mir wegen ihrer eigenwilligen, vom Standard abweichenden Form. Aber neben der Schönheit durch den Reiz des Aussergewöhnlichen (der es mir schon immer besonders angetan hatte) gibt es auch die Schönheit durch Perfektion: Ein schlanker, sanft und harmonisch geschwungener Rumpf, gepaart mit einer klassischen Flügelgeometrie. Keine Ecken, keine anorektisch eingeschnürte Taille, kein abrupter Knick oder holpriger Tiefensprung in der Tragfläche, keine übertriebene Zuspitzung. Das ist die ASW 20. Sie ist in meinen Augen seit je her die Vollendung der Segelfliegerform; So, wie ein lieber Gott sie formen würde, täte es einen solchen geben.

Das Original

Die ASW 20 wurde in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre geboren. Sie war Schleichers Antwort auf die damals, nach einigen Wirren um die Reglementierung von Wölbklappen, neu eingeführte Rennklasse. Sie konkurrenzierte zum Beispiel die Rolladen Schneider LS3 und kombiniert den Rumpf der ASW 19 mit einem neuen Flügel. Wer mehr zur Geschichte der ASW 20 und der Schleicher-Flugzeuge erfahren will, der kann sich im Buch «Rhön-Adler» von Peter F. Selinger schlau machen.¹

¹Leider kann ich das Buch nicht im selben Masse wie  Wolfgang Binz’ «LS-Segelflugzeuge» empfehlen. Es ist zwar einigermassen Informativ, jedoch aufrund seiner durchs Band viel zu langen und immer wieder falsch verschachtelten Sätze sehr unangenehm zu lesen (und das will etwas heissen, wenn ich mich über so etwas beklage…). Fehlende Wörter und Satzzeichen machen es zudem regelmässig schwer zu beurteilen, was der Autor genau zum Ausdruck bringen wollte.

Die ASW 20 als Modell

Zum meinem bereits lang anhaltenden Erstaunen gibt es nur sehr wenige Modelle der ASW 20 (oder 19). Der Wunsch, dieses formvollendete Segelflugzeug als Modell fliegen zu können, lässt sich jedoch nicht nur deshalb nicht so einfach in die Tat umsetzen: Paritech hat zwar schon lange eine ASW 19 in 1:4 im Programm. Leider ist sie mit Ritz-Profilierung aerodynamisch etwas angestaubt. Die wirklich sehr interessante ASW 20, die Paritech mal hatte, ist leider schon lange nicht mehr lieferbar. Valenta hat ebenfalls eine ASW 20 mit 4 Metern Spannweite – die mir aber nur bedingt gefällt. Hangar 9 brachte Mitte der 2010er Jahre eine etwas grössere ASW 20 heraus. Allerdings hatten sie sich mit der Rumpfform derart vertan, dass sie nicht in Frage kommen konnte. Und schliesslich hat Paritech vor nicht all zu langer Zeit eine neue ASW 20 mit ca. 4.7 Metern Spannweite lanciert. Die Grösse hätte mir gut gepasst. Allerdings haben sie ihr Vorführmodell mit einer Art geometrischem Tarnmuster wie ein Erlkönig lackiert, so dass die Form auf den vielen Fotos im Internet nicht zu beurteilen war. Die sehr wenigen verfügbaren Fotos von «normal» lackierten Modellen konnten meine Befürchtung nicht entkräften, dass es einen guten Grund für das Tarnmuster geben könnte. Also leider auch keine Option, um mein Bedürfnis nach einer Kopie dieser perfekten Rumpfform zu befriedigen.

Vor einigen Jahren hat auch Airworld eine ASW 20 im Masstab 1:3 in Ihr Programm aufgenommen. Fotos gab es ausserhalb der Webseite des Herstellers nur wenige, und Erfahrungsberichte gar keine. Die verfügbaren Fotos zeigten aber eine gelungene Rumpfform, und der Massstab sowie die Auslegung stimmten für mich. So habe ich mich Anfang Jahr mit Airworld in Verbindung gesetzt und mich diesen Sommer, genau zwei Jahre nach meiner LS6, schliesslich zur Bestellung überwunden. In der sehr freundlichen Kommunikation mit Herrn Reisert wurden zügige 12-14 Wochen Lieferfrist angekündigt. 18 Wochen hats dann tatsächlich gedauert, bis der Flieger versandbereit war. Ich habe das schon ganz anders erlebt – das passt so.

Die ASW 20 von Airworld

Diese Woche ist sie nun endlich gekommen. Meine Jugendliebe in weiss: Per Camion wurde der grosse Karton geliefert, und der Camioneur hatte ungefähr die selbe Mühe das Ungetüm vor die Haustüre zu schleppen, wie ich danach in die gute Stube.

Natürlich musste der Karton am Mittag sofort geöffnet werden. Zum Vorschein kam zuerst mal ein Kubikmeter Polystyrolchips. Der Rumpf und die Flügel waren schnell ertastet und extrahiert. Geduldiges Durchwühlen förderte nach und nach die restlichen Bestandteile zu Tage. Eine Packliste, welche dabei ebenfalls auftauchte, half die Gewissheit herzustellen, dass ich irgendwann alles gefunden und herausgefischt hatte. Den ersten Anflug von Begeisterung von der Firma Airworld hatte ich, als ich in dem zweieinhalb Meter langen Karton neben den Chips auch einen grossen Plastiksack entdeckte, in welchen ich die Chips umfüllen und den Karton damit zur Entsorgung zerlegen konnte. Ein Detail, aber das ist echt mitgedacht, Leute!

Der Rumpf ist «Hochweiss», wie man in den Neunziger Jahren Jahren in den Prospekten zu lesen pflegte. Die Rumpfnaht ist sowohl auf der Oberseite wie auch unten sauber und unsichtbar lackiert. Hier schlägt die ASW 20 meine LS6, die nur oben lackiert ist. Die Flügel und das Höhenleitwerk sind sauber gebaut, die Flügelhinterkanten etwas Dicker als bei der LS6. Schempp-Hirth Störklappen sind bereits in die beiden Flügel eingebaut und benötigen lediglich je ein Servo. Die Tragflächen und der Rumpf werden klassisch mit einem massiven Rundstahl miteinander verbunden. Komplettiert wird mein Bausatz durch ein Seitenruder, eine Kabinenhaube, einen Haubenrahmen und einem Beutel mit Zubehör wie Abdeckungen, Seitenleitwerks- und Fahrwerkspanten. Winglets habe ich ebenfalls mitbestellt. Ich werde die ASW aber zuerst einmal klassisch, ohne dieselben, aufbauen.

Die ASW 20 macht allgemein einen etwas weicheren Eindruck als die steinhart gebaute LS6 von FW Models. Das passt aber gut zum Original, welches bekannt dafür ist, die Flügel beim Fliegen dynamisch sichelförmig durchzubiegen. Man geniesse zur Illustration hierzu folgendes Video, welches ich 2016 schon einmal in einem schwärmerischen Anfall hier gepostet habe.

Selbstverständlich musste auch die Neueste zum obligaten Gang auf die Wage antreten: (Wer mit der LS6 von FW Models vergleichen will findet deren Massen in diesem Beitrag)

Flugzeugteil Gewicht [g]
Höhenleitwerk 219
Seitenruder 73
Flügel L / R 1837 / 1832
Winglets 29 / 30
Rumpf 1855
Flächenstahl 896
Kabinenhaubenrahmen 132
Capot 255
Sitzwanne 131
Zubehörbeutel 189
Total ~7500

Und wie schauts jetzt aus mit der Vorbildähnlichkeit?

Bereits in der Stube war der erste Eindruck der ’20 aus dem Hause Airworld im Massstab 1:3 gut. Aber wenn man schon die Originalpläne von Schleicher besitzt, dann kann man dem Gefühl ja noch zu etwas mehr Objektivität verhelfen. Also Flugs mit dem NATEL ein «Orthofoto» gemacht und mit den eingescannten Plänen überlagert:

Auch wenn (oder gerade weil) die Qualität meiner Handykamera sicherlich gegen den Bildrand nicht frei von Verzügen ist, so zeigt sich doch, dass Airworld die Rumpfform wirklich sehr gut getroffen hat. Einige Abweichungen sind interessant: Offenbar ist das Seitenleitwerk geringfügig weniger hoch, als es sein dürfte. Das erstaunt ein wenig, weil doch das Leitwerk beim Modell aufgrund der etwas verringerten Wirksamkeit typischerweise etwas vergrössert werden muss. Mindestens das Höhenleitwerk – dazu später mehr. Zweitens ist der Kabinenhaubenausschnitt etwas nach hinten verlängert. Grund dazu ist vermutlich der ebenfalls um ca. 35 Millimeter nach hinten verlegte Flügelansatz. Über den Grund dafür wiederum kann ich nur spekulieren. Sehr gut denkbar ist, dass diese kaum sichtbare Abweichung so einkonstruiert wurde, damit der Schwerpunkt leichter erreicht werden kann. Der leicht nach hinten versetzte Flügel macht das Erscheinungsbild zudem tendenziell etwas eleganter.

Gut sichtbar sind ebenfalls die Mittellinien der beiden Wurzelprofile, welche den exakt selben Einstellwinkel haben.

Das Höhenleitwerk wurde ganz klassich etwas verlängert und hat damit genau 10 % mehr Fläche, als es massstäblich der Fall wäre.

Im RC-Network ist zu lesen, dass die 1:3 ASW 19 von Airworld den selben Flügel wie die ASW 15 aus dem selben Haus habe. Das selbe gilt vermutlich auch für die ASW 20, und das erklärt auch die Abweichungen der Masse vom Original (nur grob gemessen und eingezeichnet). Wenn man die Ansichten der ASW 15 und 20 von Schleichers Webseite überlagert, ergibt sich genau das selbe Bild. Die tiefen Querruder und Wölbklappen lassen auf jeden Fall ein wendiges Modell erwarten :)

ASW 20 und ASW 15 (rot) überlagert. Bild: Alexander Schleicher

ASW 20 und ASW 15 (rot) überlagert. Bild: Alexander Schleicher

Ich freue mich, dieses fantastische Original endlich in einem würdigen Modell abbilden zu können, ich freue mich auf den Bau und natürlich noch viel mehr aufs Fliegen! Wie genau ich sie ausbauen werde habe ich noch nicht entschieden. Sicherlich bekommt sie wieder eine elektrische Aufstiegshilfe. Mehr dazu in Bälde wieder hier, auf diesem Sender.

Und wieso eigentlich «Mike 6»? Nun, die letzte weisse Lady war M5, und damit kommt nun eben M6 ;)

Schöne Festtage allerseits!

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