LS5 – Die Auslegung des Flügels

24.03.2016

Vorgeschichte

Angefangen hat es mit einem Buch. Also, so richtig angefangen, ämel. Der Eqip Verlag hat im 2015 das Buch LS-Segelflugzeuge – von der LS1 bis zur LS11 heraus gegeben. Natürlich habe ich mir das vorbestellt und als es dann geliefert wurde, habe ich es mit Wonne durchgeblättert und rein geschmökert. Beim Schmökern blieb es nicht lange. Wer sich für Geschichte und Segelflug interessiert, muss es als gelungene Kombination geradezu verschlingen. So ist es auch mir ergangen. So spannend das Buch und die darin gezeichnete Geschichte ist, so tragisch beginnt sich das Schicksal bereits im ersten Drittel abzuzeichnen. Schon zu Beginn der 80er Jahre sind die Vorzeichen des Untergangs im Buch erkennbar. Das etwas zu kleine und zu wenig breit aufgestellte Unternehmen setzt (zu) stark auf kurzfristige und eigen interessierte Projekte.

Eines dieser eigeninteressierten Projekte war die LS5. Schon lange war es der Traum Schneiders einen Flieger der offenen Klasse zu bauen und zu fliegen. Wolf Lemke, der Ingenieur hinter Schneiders Flieger, war natürlich von der Aussicht einen solchen Flieger zu konstruieren nicht minder angetan. Leider wurden sie dabei von der wirtschaftlichen Notwendigkeit davon abgehalten, durch die fehlenden Ingenieursresourcen verhindert und schliesslich von der Zeit überholt. Schlussendlich entstand die LS5 als Einzelstück in privater Initiative von Wolf Lemke und Klaus Mies ausserhalb der Firma Rolladen Schneider. Wer mehr wissen will, dem empfehle ich das erwähnte Buch wärmstens.

Auf jeden Fall hat es mir die LS5 spätestens beim Lesen dieses Buches angetan. Schon einige Jahre vorher begann mir die charakteristische Rumpfform der LS Flieger zu gefallen. Aussergewöhnlich für den deutschen Segelflugbau haben nämlich die Lemke-Schneider Flieger von der LS1 bis zur LS10 ihre unverkennbare Rumpfform fast unverändert behalten. Schempp-Hirth weist hier bereits eine viel deutlichere Evolution auf und Alexander Schleicher hat eine erstaunliche Entwicklung von der ASW 15 über die 19/20 zur ASW 24 und ASH 26 durchgemacht, wobei die letzteren nun bis heute formgebend der Reihe vorstehen. Aber ich schweife wieder in die Segefluggeschichte ab.

Die lang gestreckte Eleganz der LS5 zusammen mit dieser historischen Rumpfform haben es mir angetan. So ein Einzelstück müsste man reproduzieren, wenn auch im geeigneten Modellbau-Massstab. Mein – inzwischen beinahe “Lieblings-” – Rumpfhersteller, Steinhardt/Wanitschek hat einen LS3 Rumpf im Massstab 1:4 im Angebot, der sogar ohne Flächenanformungen daher kommt. Das wären doch ideale Voraussetzungen um eine LS5 zu realisieren. Das Original basiert nämlich ebenfalls auf einem LS3 Rumpf mit vergrössertem Seitenleitwerk und einem angepassten Rumpf-Flächenübergang. In diesem Sinne würde das Modell nicht nur “Scale” gebaut, sondern auch “Scale” aufgebaut. Yay! Das wär doch was!

Die Grundauslegung

Nun gut. Gemäss Webseite von Steinhardt sei die Wanitschek LS3 in 1:4 gehalten.- Das würde also bei 22.78 m Spannweite des Originals  rund 5.7m Spannweite beim Modell geben; Bei 1.75m Rumpflänge. Ob das klappen kann..? Also kein alltägliches Projekt. Spannend!

Der Rumpf wurde bestellt und prompt geliefert (wieder ein Dankeschön an Steinhardt, stellvertretend für alle zuverlässigen Modellbauhersteller, von denen es leider nicht all zu viele gibt). Beim Ausmessen und Übertragen ins CAD durch “Orthofotografie” kam ein Massstab von 1:3.94 heraus, was zu einer Spannweite von  5.78m führt. Wow. Das sind 1.8m mehr als mein bisher grösstes Modell. Und das bei gleicher Rumpflänge. Vielleicht sagen wir einfach 90cm pro Fügelhälfte, dann ist es etwas weniger ehrfurchtseinflössend.

Wie müsste so ein grosses Modell ausgelegt sein? Aufgrund der Grösse würde ich ziemlich sicher vornehmlich in der Ebene fliegen; Oder allenfalls bei gemütlichen Situationen in den Bergen. Bei Sturm oder landetechnisch schwierigen Bedingungen hätte ich genug andere Modelle, die besser passen: Meine Pik 20, elektrisch und gerade im Bau, die Caldera S oder auch die gute “alte” ASW 24, wenns den Scale sein soll. Meine LS5 soll, wie das Vorbild, majestätisch im Aufwind kreisen und allenfalls mal im gestreckten Galopp zum nächsten Bart stürmen. Diesen Flieger würde ich als Thermikvogel mit akzeptablen Schnellflugeigenschaften haben wollen.

Die Profilierung

Vom Gefühl her sollten Profile mit einer Wölbung von 2.5 bis 3 % dazu passen. HQW lag als erster Griff nahe, weil es da so schöne komplette Dicken- und Wölbungsreihen gibt. Erste Modellrechnungen mit xflr5 ergaben mit dem HQW 2.5 gute Ergebnisse. Allerdings überzeugte mich das Grosssegler-Allround-Profil beim Einsatz der Wölbklappen nicht so recht. Der Gewinn bei positiver und negativer Verwölbung erschien mir knapp. Nicht wirklich schnell und widerstandsarm im Schnellflug, und auch thermisch ein Kompromiss. Weder Fisch noch Vogel. Obwohl ich 3% als eher (zu) stark gewölbt einschätzte, habe ich auch einen HQW 3 Flügel modelliert, der den Schwerpunkt ohne Verwölbung klar in Richtung Thermik verschob. Beim HQW 3 konnte ich in der Simulation eine viel deutlichere Wirkung der negativen Verwölbung ausmachen und auch bei positiv gesetzten Wölbklappen noch einen guten Leistungsgewinn im Langsamflug. Insgesamt verschoben sich die Eigenschaften mit dem 3 prozentigen Profil klar in Richtung des durchaus angestrebten Thermikfluges, jedoch bei praktisch gleichen Schnellflugeigenschaften. Damit wurde die Auslegung passender zu den Anforderungen und sogar breiter.

Die enorme Streckung der LS5 würde im Bereich des Aussenflügels, gerade beim angestrebten Langsamflug, zu sehr geringen Re-Zahlen führen. HQW Profile sind aber nicht eben bekannt für ihre unkritische Re-Zahl Stabilität. Zudem bin ich seit jeher der Meinung, dass sie etwas gar “grenzschichtoptimistisch” ausgelegt sind. Die grösste Dicke befindet sich recht weit hinten, was eine potentiell lange laminare Laufstrecke ermöglicht, aber auch für die gefürchteten laminaren Ablöseblasen sorgt. Ich habe für den Aussenflügel also angefangen an diesem Parameter, der Dickenrücklage, zu schrauben. Aus dem HQW3/10 mit einer Dickenrücklage von 33% habe ich das HQW3/10-m abgeleitet, mit einer Dickenrücklage von nunmehr 30%. Xfoil quittierte das sofort mit ein einer gemässigteren Polare. Die Charakteristik der HQ Profile bei tiefen Ca gute Widerstandswerte zu liefern, bei mittleren Ca unter laminaren Ablöseblasen zu leiden und dann bei höhren Ca nochmals eine scharfe, widerstandsarme “Spitze” zu produzieren, veränderte sich zu einer ausgewogeneren Polare. Fast über den gesamten Ca- oder Anstellwinkelbereich hatte das Profil geringere Widerstandswerte. Nur eben diese schmale Spitze im Bereich des besten Gleitens wurde etwas abgeflacht. Da ich nicht davon ausgehe im täglichen Flugbetrieb diesen schmalen Bereich wirklich genau zu treffen und zu erfliegen, war es eine leichte Entscheidung etwas theoretisch erreichbare Höchstleistung gegen eine breite, unkritische und praxistaugliche Hochleistung einzutauschen.

Zu meinem Erstaunen bewährte sich aber diese Modifikation nicht nur am Aussenflügel. Nein, der Tausch des originalen HQW Profils bis hin zur Wurzelrippe bewirkte eine erstaunliche Leistungssteigerung im gesamten Geschwindigkeitsbereich.

pik-KQ-m-vs-HQ

Wie in den folgenden Polaren für ein HQW 3.5/10 und 3/13 erkennbar ist, ergibt sich leistungsmässige Parität erste bei Re-Zahlen grösser als 200’000.

hqw-m hqw-m2

Die LS5 erreicht bei Auslegungsgeschwindigkeit die 200’000 knapp nicht:

re-dist-ls5

Die Profilwahl, hier etwas verkürzt dargestellt, war also mit einem modifizierten, “entschärften”, HQW der ~3er Reihe getroffen.

Aber all die Anderen?

Natürlich habe ich mich gefragt was all die “anderen” HQW-Verbauer tun. Nun, dazu gibt es zwei Dinge zu sagen: Ich interessiere mich für das was andere tun! Allerdings ist das für mich eine wertvolle Information und nicht einfach der Weisheit letzter Schluss. Ich glaube, es gibt da draussen durchaus viele “Mode(ll)profile” und, wie bei den Kleidern, genau so viele Modellflieger die jeden Mist in den Himmel loben würden, wenn er denn nur gerade “in” und modern ist. Wie sonst konnte ein Profil wie das E-205 den Ruf erlangen, den es Jahre lang inne hatte, und zum Teil heute noch geniesst. Ich traue mich durchaus selber zu denken und stecke im Gegenzug dafür auch gerne das Urteil eben jener “Anderen”,  und noch viel mehr jenes der gnadenlos ehrlichen Natur, ein. Ich bin gespannt, was ich an dieser Stelle lernen werde.

Zum Anderen ist sich auch Helmut Quabeck dieses Problems bewusst. Es ist also nicht so, dass ich der Erste wäre, der das Problem seiner Profile bei niedrigen bis mittleren Re-Zahlen gefunden hätte. Wer seine Bücher liest weiss, dass er für den gefährdeten Bereich des Flügels (Aussenflügel) zu Turbulatoren bei 50% Tiefe auf der Oberseite rät. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies einwandfrei funktioniert. Allerdings wollte ich meinen Flieger nicht von Anfang an so auslegen, dass ich auf der am Boden so gut sichtbaren Oberseite einen ein oder zwei Meter langen Turbulator anbringen muss.

Nebenbei: Wer an dieser Stelle jetzt kritisch an die HQ/DS Profile denkt – und vor allem an die teilweise damit ausgelegten Nicht-Speedsegler – errät womöglich meine Bedenken.

Und der SA-Wunderstrak?

Ja, wer ab und zu im Segler-Teil des RC-Network liest, dem ist er sicher schon begegnet: Der SA 7036 Strak. Zunächst möchte ich in Erinnerung rufen: Es gibt ihn nicht, den Wunderstrak. Es gibt immer nur mehr oder weniger gut passende Auslegungen zu einem bestimmten Flugzeug mit seiner Geometrie und dem vorgesehenen Einsatzzweck. Der passend aufgedickte SA Strak hat wirklich sehr gute Eigenschaften, ergibt aber ein dynamischeres und weniger thermisch ausgelegtes Flugmodell. Ich will ‘s jetzt mit einem HQW versuchen, bin aber überzeugt, dass es sich je nach gewünschten Eigenschaften lohnen würde, diese Auslegung weiter zu verfolgen und zu verfeinern.

Der Flügel

Mit dem Entscheid für eine Basisprofilierung ist der Flügel natürlich noch nicht gebaut. Jetzt ging es darum aus einem Profil den Strak zu machen. Ziel: Gutmütigkeit im Bereich des Strömungsabrisses und Leistungsfähigkeit im Sinne der vorher definierten Grundauslegung.

Auf Grund der extremen Streckung des Modells (> 35) kann vor allem am Innenflügel nicht mit all zu dünnen Profilen hantiert werden. Auch aus “Scale-Gründen” wollte ich das nicht. 14% Dicke an der Wurzelrippe müssen es für eine vernünftige Statik mit passendem Gewicht sein; 15% wären vorbildtechnisch durchaus machbar und mir würd’s sogar gefallen einen so dicken Flügel zu bauen. Wie es sich zeigte, ist der Leistungsverlust der HQW 3 Profilierung aber bei mehr als 14% Dicke markant. Der Innenflügel wurde also mit 14% festgelegt.

Um ein günstiges Strömungsabrissverhalten am Aussenflügel zu erreichen, habe ich die Dicke des Profils auf 10% bei gleichzeitiger Erhöhung der Wölbung auf 3.5% festgelegt. Damit die Strömung tatsächlich später als am Innenflügel abreist, muss dazu jedoch der lokale Einstellwinkel verkleinert werden. Die Dicken innerhalb des Flügels habe ich so gestaltet, dass sowohl Oberseite als auch die Unterseite gerade verlaufen.

Für die definitive Auslegung fehlte jetzt also nur noch der Einstellwinkelverlauf entlang der Spannweite, auch bekannt als Schränkung. Dabei habe ich darauf geachtet, dass der lokale Ca über den ganzen Flügel mehr oder weniger konstant ist.

Der letzte Entwurf sieht folgenden Verlauf vor:

ls5-wingdata

Damit ergibt sich beim Auslegungs-CA ein mehr oder weniger ebener Verlauf des lokalen Ca über die gesamte Spannweite:

ls5-Cal0

Auch bei einem Anstellwinkel von -4.2° und 20m/s Fluggeschwindigkeit sieht es ähnlich aus:

ls5-Cal-4.2

Wölbklappen

Natürlich kriegt die LS5, wie das Original, über die ganze Spannweite Klappen. Wie im ersten Teil beschrieben, habe ich die grundsätzliche Wirksamkeit rechnerisch getestet. Grundlage sind über den ganzen Flügel 22% tiefe Klappen. Bei der Profilierung mit dem HQW 3 basierten Strak ergibt sich ein breiter Flugbereich. +4° für Thermik und -3° für “Speed” sollten recht gut passen. Grössere Wölbklappenausschläge erschienen mir nicht sinnvoll. Auch die Simulation zeigt da nur noch eine geringe Verschiebung des Arbeitspunktes bei merklicher Schmälerung des noch effizient fliegbaren Bereichs. Ich sitze nicht im Flugzeug und kann die Fluglage nur ungenau vom Boden aus kontrollieren, also entscheide ich mich für die robustere Auslegung.

ls5-plane-cl-cd ls6-plane-steig glide glide1

Vermutlich ist das noch nicht das Ende der Entwicklung – schliesslich dauert es noch ein Momentchen, bis ich mit dem Flügelbau beginne.

Die nächste Baustelle

Jetzt, wo ein Modell des Modellflügels einigermassen steht, wird die Auslegung des Leitwerks im Zusammenhang mit dem Flügel verfeinert. Wie gross soll die EWD werden? Reicht die Grösse des Leitwerks und wie stabil soll der Flieger werden? Über all das berichte ich ein späteres Mal :)

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Modell-Analyse und Design mit XFLR5 – Der Einstieg

05.01.2016

Die Zeiten von Perseke, Bleistift, Taschenrechner und Dutzenden voll gerechneten Papierseiten sind vorbei, könnte man meinen. Da muss es doch inzwischen ein Programm geben! Ja, gibt es. Sogar eine ganze Hand voll. Doch was hat sich wirklich geändert? Taugt das was? Kommen dabei bessere Flieger heraus? Und wie bedient man so ein Programm? Vor allem die letzte Frage ist aller Hürden Erste. In den letzten Jahren habe ich mit verschiedenen Programmen und diversen “Excel Sheets” herum gespielt. So lange ich nicht vollständig verstanden habe, was da im Hintergrund passiert, kann ich es nicht als mehr als ein “Spielen” bezeichnen.

Zwei dieser Programme sind FLZ Vortex und XFLR5. Das erste Programm gibt es leider nur für Windows. Die Einstiegshürde ist geringer und es gibt (vermutlich auch deshalb) viele deutschsprachige Anwender und passende Einführungen für den Neuling (RC-Network Artikel Teil 1, Teil 2). XFLR5 gibt es für mehr oder weniger alle Plattformen (Windows, Linux, Mac) und ist Opensource. Es integriert das Profil Analyseprogramm XFOIL und arbeitet wo möglich mit den damit errechneten Profil Polaren. XFLR5 hat eine höhere Einstiegshürde und erscheint daher im ersten Moment komplizierter zu bedienen. Es überlässt dem Modellbauer ein bisschen mehr Arbeit und hat zumindest im deutschen Sprachraum eine kleinere Anwenderbasis. Wenn man jedoch das Prinzip des Programms begriffen hat, ist es genau so einfach damit zu arbeiten.

Dieser Artikel soll es dem Einen oder Anderen erleichtern die erste Einstiegshürde zu meistern um in die Tiefen der aerodynamischen Auslegung, Leistungsberechnung und -Optimierung mit XFLR5 eintauchen zu können. Es ist auch eine unvollständige Zusammenfassung meiner Erkenntnisse aus den Spielereien mit XFLR5; Nicht zuletzt als Gedankenstütze, damit ich die Arbeit mit dem Programm nicht jeden Herbst wieder neu erlernen muss. Man verzeihe mir Fehler und falsche Annahmen – oder noch besser: Man melde sich dabei bei mir!

Anmerkung: Es ist nicht das Ziel auf aerodynamische Zusammenhänge einzugehen oder diese zu erklären. Ich gehe davon aus, dass entsprechende Kenntnisse vorhanden sind oder der geneigte Leser bereit ist, sich diese anderweitig anzueignen.

Dieser Artikel basiert auf der Version 6.11 von XFLR5.

 

Vom Start zum ersten coolen Bildchen

Natürlich muss bei einem neuen Ding möglichst schnell was Cooles dabei raus schauen. Und genau das, und nichts anderes, tun wir jetzt. Wir lassen die Theorie aussen vor und bauen uns einfach exemplarisch einen Flieger zusammen, um damit die Voraussetzungen zu schaffen diesen zu analysieren. Die Möglichkeiten, welche sich danach bieten, sind vielleicht Inhalt eines späteren Artikels. Oder sie dürfen – nachdem die Grundlagen zum digitalen Experimentieren geschaffen sind – auch dem Spieltrieb zu Opfer fallen ;)

Es hilft zu wissen, dass die Arbeit an einem Projekt mit XFLR5 im Wesentlichen zwei- bzw. dreigeteilt sind:

  1. XFLR5 arbeitet mit Profilen und deren Eigenschaften.
    • XFLR5 muss die Profile unseres Modells kennen. Wir teilen daher XFLR5 die von uns eingesetzten Profilkoordinaten mit.
    • Mit XFLR5 errechnen wir danach die Polaren dieser Profile in dem von uns gewünschten Re-Zahl Bereich. (An dieser Stelle befindet sich der XFOIL Code, der die aerodynamischen Eigenschaften anhand der Profilformen zu errechnen versucht.)
  2. Der zweite Teil besteht aus der Definition und aerodynamischen Analyse des Flugzeuges. Im Wesentlichen sind das sämtliche aerodynamischen Flächen, also Flügel, Höhen- und Seitenleitwerk. Der Rumpf kann auch gezeichnet werden, sinnvoll in die Berechnung einfliessen kann er jedoch nicht und wird häufig weggelassen.

Diese Aufgaben sind in XFLR5 in drei “Arbeitsbereiche” getrennt. Über das Menu “File” wechselt man zwischen ihnen:

“Direct Foil Design” [Ctrl+1]
Das Importieren, Verwalten und Modifizieren der Profile.
“XFoil Direct Analysis” [Ctrl+5]
Das Berechnen der Polaren der im Projekt hinterlegten Profile.
“Wing an Plane Design” [Ctrl+6]
Das Definieren des Flugzeuges und Berechnen der diversen Leistungsdaten.

Auf den weiteren Punkt “XFoil Inverse Design” [Ctrl+3] gehe ich an dieser Stelle nicht weiter ein.

1-file-dialog

Als Beispiel werde ich hier meinen (damals nach Erfahrung, Gutdünken und Perseke gebauten) Haifisch modellieren.

 

Profile importieren

Zuerst laden wir die benötigten Profile. Das ist in diesem Fall das Selig SD-7037 für die Tragfläche. Dazu wechseln wir in den Modus “Direct Foil Design” [Ctrl+1] und laden mit “File”-> “Open” die entsprechenden Profilkoordinaten.

2-file-open-dialog 3-sd-7037-profil

Die Profilkontur erscheint am Bildschirm. Im unteren Teil des Programms befindet sich die Liste aller im Projekt geladenen Profile mit einigen geometrischen Randdaten. In dieser Liste können die Profile mit einem Rechtsklick bearbeitet werden. Nebst den üblichen Dingen wie die Wölbung, Dicke oder deren Rücklagen, werden hier auch die Klappen definiert und ausgeschlagen.

Richtig: Weil XFLR5 mit den von XFOIL berechneten Polaren arbeitet, muss jedes Profil, das verwendet wird, auch als Polare vorhanden sein. Ein Profil mit einer 25% tiefen und um 4° nach unten ausgeschlagenen Klappe ist ein anderes Profil als das Ursprüngliche. Wir speichern dieses “modifizierte” Profil deshalb einfach als weiteres Profil ab. XFLR5 behandelt es somit wie jedes andere Profil, welches wir hier definieren, und kann später die Polaren davon berechnen.

Das beim Seiten- und Höhenleitwerk verwendete Profil “Ebene Platte” substituieren wir hier jetzt einfach mal frech mit einem Profil, dass wir vom “Spline Foil” durch verschieben der Haltepunkte erzeugt und danach mit dem Knopf “Store Spline as Foil” als “Flat Plate” abgespeichert haben. Einfach ein NACA oder ein anderes symmetrisches Profil zu verwenden wäre einfacher und sinnvoller. Aber damit wäre diese Funktion auch geklärt.

4-spline-as-foil 5-flat-plate

Nun, da wir bereits alle Profile für den Haifisch definiert haben, geht es an den nächsten Schritt:

 

Berechnen der Profilpolaren

Das integrierte XFOIL, welches diese Aufgabe übernimmt, finden wir unter “File” -> “XFoil Direct Analysis” oder [Ctrl+5]. Unter dem Menu “Analysis” finden wir die Funktionen zur Berechnung der Polaren. Da in den heutigen PCs meist mehrere Prozessoren (Kerne) verbaut sind, lohnt es sich die “Multithreaded Batch Analysis” auszuwählen.

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Über den Knopf “Foil List” wählen wir unsere zwei Profile aus.

7-foil-list

Später, beim Berechnen des Flugzeuges, muss XFLR5 jeden Datenpunkt (“Op Point”) aus der Schar der berechneten Polaren interpolieren können. Wir müssen also sicherstellen, dass wir Polaren für den gesamten Re-Zahl- und Anstellwinkelbereich, den wir im am Flugzeug antreffen werden, berechnen. Da es sich beim Haifisch um einen leichten 2m Segler mit eher geringer Flächentiefe handelt, müssen wir mit sehr tiefen Re-Zahlen rechnen. Im Schnellflug können es aber auch sofort einige Hunderttausend sein. Wer will kann den benötigten Re-Zahlbereich hier kurz überschlagen. Mit lediglich zwei Profilen geht das Rechnen der Polaren aber so schnell, dass wir über den “Edit List” Knopf auch einfach mal auf gut Glück 30’000 bis 1 Million wählen können. Den Anstellwinkelbereich (Alpha) lassen wir bei -4 bis 10°, das dürfte mehr als genügen.

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Mit “Analyze” wird der XFOIL Code angeworfen und berechnet uns die Polaren die danach grafisch angezeigt werden.

9-analyze 10-analyze

Wenn man im Kontextmenu des Polarenfensters “Show only associated polars” wählt, wird es ein bisschen übersichtlicher. Hier können wir auch sehen, dass im Re-Zahlbereich von 30’000 bis 60’000 durchaus auch kleinere Schritte sinnvoll wären.

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Flugzeug zusammenbauen

Jetzt sind wir soweit, dass die Grundlagen vorhanden sind und wir beginnen können daraus ein Flugzeug zu bauen. Mit dem Plan zur Hand, oder mit dem CAD auf dem Bildschirm, entstehen als nächstes die Tragflächen und Leitwerke des Haifisch. Zuerst wechseln wir in den Arbeitsbereich “Wing and Plane Design” [Ctrl+6]. Unter dem Menu “Plane” -> “Define a New Plane” finden wir den Dialog um die Geometrie und die Auslegung des Flugzeuges zu definieren.

11-define-a-new-plane

Wir fangen mit dem Flügel an, der über den Knopf “Define” im Panel des “Main Wing” erstellt wird.

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Den Randbogen definieren wir dabei nicht, bzw. verlängern den Flügel um 3/4 der Randbogenbreite. Die extrem geringen Re-Zahlen im Aussenbereich des Randbogens lassen sich nicht sinnvoll berechnen. Als Profil verwenden wir das SD-7037, welches wir zuvor zum Projekt hinzugefügt und dessen Polaren berechnet haben. Die Spalte X-Distribution passt mit “Cosine”, die Y-Distribution kann man bei diesem Innenflügel gleichmässig verteilen (“Uniform”). Mit den Knöpfen im oberen Teil des Dialogs können wir weitere Segmente definieren. Falls wir einen abrupten Sprung zwischen zwei Profilen anstelle eines Straks erstellen möchten (etwa bei ausgefahrenen Landeklappen am Innenflügel), definieren wir an der entsprechenden Stelle ein “Zwischenstück” mit einer Breite von 0 und den beiden Profilen (einmal das Profil mit den ausgefahrenen Landeklappen, auf der anderen Seite das normale Flügelprofil). Flügelsegmente mit einer Breite von 0 werden von XFLR5 bei der Berechnung ignoriert.

13-define-a-wing

In der Spalte “Dihedral” kann für jedes Segment die V-Form festgelegt werden. Die geometrische Schränkung eines Segments wird in der Spalte “Twist” definiert. Die V-Form der Aussenflügel des Haifischs beträgt 7°, Schränkung besitzt er keine.

Damit ist die Geometrie des Flügels vorerst hinreichend definiert und wir können uns dem Leitwerk zuwenden. Die Dialoge dazu verstecken sich in den Panels “Elevator” und “Fin” des Plane Editors und funktionieren analog. Bei beiden Leitwerken geben wir zusätzlich die Position in X-Richtung (Flugrichtung) von der Flügelvordertkannte an. Die Y-Richtung können wir uns bei diesem Modell sparen, da die Flächen in einer Ebene liegen.

14-define-elevator-and-fin

Unser Modell hat nun die Form erhalten:

15-haifisch-modell

Damit wir nun die ersten Berechnungen machen können, brauchen wir noch eine Masse und einen ersten Schätzwert für den Schwerpunkt. Diese geben wir im “Plane Editor” unter der “Plane Inertia” an. Dort könnten die Massen auch detaillierter für die einzelnen Komponenten definiert werden. Dies brauchen wir aber erst für die Berechnung der dynamischen Stabilität und lassen das an dieser Stelle aus.

16-plane-inertia

Ebenfalls geben wir die für den Haifisch bekannte EWD an. Genauer gesagt geben wir die beiden Einstellwinkel des Höhenleitwerks und des Flügels an, aus deren Differenz sich die Einstellwinkeldifferenz ergibt. Das Höhenleitwerk hat einen Einstellwinkel von 0° und die EWD beträgt gemäss Plan 1.5°. Also muss der Einstellwinkel des Flügels +1.5° betragen. Das tragen wir beim “Tilt Angle” ein.

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Erste Analyse der Flugleistung

Jetzt ist es soweit: Wir können coole Bildchen und Graphen machen! Dazu definieren wir zuerst die Analyse unter dem Menu “Analysis” -> “Define an Analysis”. Da wir das Gewicht festgelegt haben und mal sehen wollen was unser Design im stationären Gleitflug bis jetzt so leisten könnte, wählen wir im Dialog “Fixed Lift” aus. Den Rest lassen wir so wie’s vorgegeben ist.

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Über den Knopf “Analyze”, rechts im Hauptfenster, können wir die Analyse für einen von uns gewählten Anstellwinkelbreich starten und beim Rechnen zusehen. Natürlich hat sich nun gezeigt, dass gewisse “Op Points” ausserhalb der berechneten Daten liegen. Konkret haben wir beim Haifisch tatsächlich kleinere Re-Zahlen als 30’000, welche wir vorher als Minimum angenommen haben. Also flugs nochmals ins Menu “Direct Xfoil Analysis” um auch noch 20’000 und sicherheitshalber 10’000 nachzurechnen. Damit liefert XFLR5 nun erste Daten über einen weiten Anstellwinkelbreich. Nur bei den extremen Anstellwinkeln erhalten wir keine Resultate mehr, weil die Profile diese nicht mehr hergeben.

19-Analyze

Der Spieltrieb wird einen nun Minutenlang mit den Knöpfen in der rechten Box spielen lassen, während man das Modell in alle Richtungen dreht und über die wunderbaren Bildchen staunt ;)

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Oben am Fenster sehen wir drei Pulldown Menus. Das Rechte beherbergt die verschiedenen Anstellwinkel, die wir vorher bei der Analyse gerechnet haben. Auf den zwei nächsten Bildern sehen wir die unterschiedlich ausgebildeten Randwirbelschleppen bei 0° und 7° Anstellwinkel. Der Anstellwinkel in diesem Menu bezieht sich auf das Flugzeug, nicht den Flügel.

21-haifisch-trim-speed 22-haifisch-trim-speed

Auch für das ganze Flugzeug (bzw. alle Flächen ohne Rumpf) gibt es natürlich jetzt Polaren. Diese verstecken sich in der “Polar View” [F8] oder dem Knopf mit dem Polarensymbol oben in der Leiste. Mit der Maus können die Graphen verschoben und gezoomt werden.

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Am wenigsten spektakulär aber für die erste Auslegung fast am interessantesten, ist die “Op Point View” [F5]. Hier lohnt es sich vor allem mit dem Mausrad die Anstellwinkel (pulldown Menu ganz oben rechts) durchzurädeln.

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Also: So kompliziert ist das doch nicht! Jetzt heisst es spielen, ausprobieren und nachvollziehen. Die coolen Poserbildchen haben wir! Was man mit diesen Daten von unserem “Modell vom Modell” nun alles machen kann gibts vielleicht in einem weiteren Beitrag. Der Grundstein zur Bedienung sollte nun gelegt sein und der Spieltrieb kann sich ungebremst entfalten! Viel Spass!

 

Post Scriptum:

Einfach damit ‘s gezeigt wurde: XFLR5 kann durchaus Körper “berechnen”. Es sieht wirklich toll aus.

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XFLR5 warnt aber nicht ohne Grund davor den Rumpf mit zu modellieren. Je nach Form (die, notabene, supermühsam einzugeben ist) und Berechnungsmethode kommt etwas zwischen “könnte realistisch sein” und “offensichtlich Müll” heraus:

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Hier braucht es wesentlich mehr Verständnis um zu beurteilen was wie verwendbar ist und was nicht. Um das Hauptziel zu erreichen, Flügel und Leitwerk auszulegen, braucht es den Rumpf nicht.

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Computer Fliegerei

14.01.2015

Schon cool was man inzwischen kann. Wenn mans dann wirklich könnte. Aber es sieht schon cool aus B-)

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